Zeittafel

Mein Name ist Rolf Dieter Brinkmann, geboren 16.04.1940, Vechta, Norddeutschland.

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Rolf Dieter Brinkmann | * 16. April 1940 in Vechta | † 23. April 1975 | Bild: Christa Donner

Wo möglich, verlinke ich auf weiterführende Beiträge auf diesem Blog oder Texte im Netz – jeweils orange markiert. Wichtige Publikationen und Arbeiten des Autors sind grün hervorgehoben (siehe hier für eine Werkübersicht.).

1940Geboren am 16. April in Vechta bei Oldenburg (katholisch); Vater Josef Brinkmann (1913-1967), Mutter Maria Brinkmann (1908-1957)
1944Geburt des Bruders Karl-Heinz († 2023)
1946-1958Besuch der Volksschule und des humanistischen Gymnasiums Antonianum in Vechta. Brinkmann nimmt teil an der „Rhetorica Vechtensis“, der freiwilligen Schul-AG für Literatur und Theater. Dort hält er u.a. Vorträge über Ezra Pound, Arthur Rimbaud oder den Existenzialismus Sartres. 1957 spielt er in der Schulaufführung von Wolfgang Borcherts Stück Draußen vor der Tür (1947) die Hauptrolle des Kriegsheimkehrers Beckmann.
1957Krebstod der Mutter nach langem Leiden (verarbeitet u.a. in der Erzählung „Der Arm“). Ab diesem Jahr lyrisches Frühwerk, z.B. in Vorstellung meiner Hände (posthum 2010). Es entstehen u.a. bislang unveröffentlichte Zusammenstellungen für Jugendfreundinnen wie Elisabeth Zöllner (geb. Piefke; *1939).
1958Schulabgang nach der 9. Klasse, kurzzeitig Verwaltungslehrling im Finanzamt Oldenburg. Gelegenheitsarbeiten bei der Bahn und in der Landwirtschaft. Reise per Anhalter nach Paris (April). Brinkmann sucht verstärkt den Kontakt zum Literaturbetrieb durch werbende Briefe und Manuskriptsendungen an Zeitschriften und Verlage.
1959Im April Beginn der dreijährigen Lehre in der katholischen Buchhandlung am Münster. Rolf Dieter Brinkmann lebt zunächst in einem Lehrlingswohnheim im Essener Norden.
1960Im April lernt er Ralf-Rainer Rygulla (*1943) in Essen kennen, ebenfalls Lehrling in der Münsterbuchhandlung.
1962Übersiedlung nach Köln und Arbeit in der Buchhandlung von Joseph Caspar Witsch (1906-1967), dort Bekanntschaft mit Klaus Willbrand (*1941). Ab diesem Jahr kontinuierliche Veröffentlichungen von Lyrik und Prosa in Zeitschriften. Kontakt zu Kiepenheuer & Witsch, dort Begegnung mit Dieter Wellershoff (1925–2018) und Renate Matthaei (*1928), verantwortlich für das deutschsprachige Lektorat des Verlags. Erste wichtige Prosaveröffentlichung von „In der Grube“ in Wellershoffs Anthologie Ein Tag in der Stadt.

Ihr nennt es Sprache, Brinkmanns erster Lyrikband, erscheint in kleiner Auflage im (hierfür eigens gegründeten) Verlag seines Freundes Klaus Willbrand. Aufgrund mehrerer Druckfehler untersagt Brinkmann jedoch die Auslieferung des Buches.

In der Engelbertstraße 65 bezieht Brinkmann ein Zimmer zur Untermiete in der Wohnung des Malers und Grafikers Georg Esser (1928-2020). Nach Auszug der Familie Esser (verm. Frühjahr 1963) übernimmt Brinkmann diese Wohnung, die er zunächst als WG mit Peter Hackmann und Helmut Pieper bewohnt. Das Haus in der Kölner Innenstadt wird bis zum Tod seine ständige Adresse bleiben.

1963Oktober: Begabtensonderprüfung und Beginn des Studiums an der Pädagogischen Hochschule Rheinland, Abt. Köln (1968 abgebrochen). Zum engeren Freundeskreis an der PH zählten Maleen Kramer, Helmut und Monika Pieper, Linda Pfeiffer und Ulrike Pfeiffer, Rolf Eckart John sowie Ralf-Rainer Rygulla (ab 1967)
1964Rolf Dieter Brinkmann erhält den Förderpreis des Landes Nordrhein-Westfalen für junge Künstler

Heirat mit Maleen Kramer (*1940) am 24. Juli und Geburt des Sohnes Robert (1. November).

Erste Begegnung mit Jörg Schröder (1938-2020), damals Werbeleiter bei K &W, bei einer Autorentagung des Verlags in Kronenburg/Eifel (3. bis 5. Juni)

1965Erste Reise nach London zu Ralf-Rainer Rygulla, der dort von 1963 bis 1966 lebt und als Buchhändler bei Foyles arbeitet. Entdecken der britischen und US-amerikanischen Gegenwartslyrik. Auseinandersetzung mit der Musik der neuen Pop-/Rock-Bands (The Who, The Doors oder The Rolling Stones, bald aber auch experimentellere Gruppen wie The Velvet Underground und Soft Machine).

Der Erzählband Die Umarmung erscheint bei Kiepenheuer & Witsch. Bis zum Bruch 1971 erscheinen im Verlag weitere fünf literarische Werke und zwei Übersetzungstitel Brinkmanns.

Dieter Wellershoff kann Brinkmann bei K&W als Autor etablieren, als Teil der von ihm ausgerufenen sog. „Kölner Schule des Neuen Realismus“; Auseinandersetzung mit der Richtung des französischen Nouveau Roman (Michel Butor, Nathalie Sarraute, Alain Robbe-Grillet)

Freier Mitarbeiter des WDR, bis 1975 zahlreiche Beiträge (Besprechungen, Funkessays, Hörspiele, Lesungen eigener Prosa und Lyrik)

1966Veröffentlichung von &-Gedichte. Begegnung mit dem amerikanischen Lyriker Robert Creeley (1926-2005) bei einer Lesung in London (26. April 1966).
1967Beginn der verlegerischen Zusammenarbeit mit Reinhold Neven Du Mont (*1936), der nach dem Tod von Verlagsgründer Joseph Casper Witsch 1967 zuerst Geschäftsführer von K & W und zwei Jahre später alleiniger Eigner wird. Mit dem Ziel einer Verjüngung und Erneuerung des Verlagsprogramms u.a. durch neue Texte aus den USA setzt sich Neven Du Mont auch für Brinkmanns Buchprojekte ein, wie den Lyrikband zu Frank O’Hara und die Anthologie Silver Screen. Außerdem werden nicht zuletzt durch Anregungen von Brinkmann, Ralf-Rainer Rygulla oder Rolf Eckart John amerikanische Autoren (u.a. Burroughs, Bukowski, Veitch, Warhol) ins Programm aufgenommen.

Bereits seit 1962 ist Brinkmann intensiver Kinogänger (Nouvelle Vague, Westernfilme, Experimentalfilme des New Yorker Underground). Ermöglicht wird diese Leidenschaft nicht zuletzt  durch die Tätigkeit seines Bruders Karl-Heinz als Filmvorführer in Kölner Programmkino Die Lupe. Unter dem Eindruck der Underground-Filme aus den USA beginnt Brinkmann mit eigenen Schmalfilmen zu experimentieren (siehe die Zusammenstellung Super-8-Filme 1967-1970 von Harald Bergmann für Brinkmanns Zorn – Director’s Cut).

1968Ab Januar gemeinsam mit Rygulla Beginn der konkreten Recherche für ACID. Neue amerikanische Szene, zunächst konzipiert als Projekt im Melzer Verlag. Beide korrespondieren mit Autoren wie Dick Gallup (1941-2021), Ron Padgett (*1941), Gerard Malanga (*1943) oder Anne Waldman (*1949). Brinkmanns Gedichtband Die Piloten und der Roman Keiner weiß mehr erscheinen bei K & W. Mit Rygulla Arbeit an Frank Xerox’ wüster Traum, ein Band mit gesammelten Kollaborationen, der bislang unveröffentlicht blieb.

Brinkmann wird Mitglied im Kölner Filmclub XSCREEN und verteidigt dessen oft provokantes Programm gegen öffentliche Kritik. Multimediale Lesungen mit Vorführungen eigener Filme, z. B. anlässlich der Frankfurter Buchmesse 1968 mit der multimedialen Performance „Flickermaschine“ (Verlagsveranstaltung von K & W in der Galerie Loehr in Oberursel).

17. November: skandalträchtiger Auftritt bei der Veranstaltung „Autoren diskutieren mit ihren Kritikern“ in der Akademie der Künste/West-Berlin (Podium: Rolf Dieter Brinkmann, Thomas Bernhard, Harald Hartung, Marcel Reich-Ranicki).

1969Jörg Schröder trennt sich vom Melzer Verlag,  nimmt sämtliche Mitarbeiter*innen und fast alle Autor*innen mit und gründet im März 1969 den MÄRZ Verlag. Als erster offizieller Titel erscheint ACID. Neue amerikanische Szene, „programmatisch für die literarische Konzeption“ (Verlagswerbung). Parallele Gründung eines westdeutschen Ablegers der Olympia Press von Maurice Girodias (1919-1990). Mit den hier erscheinenden erotischen und pornografischen Titeln  Lizenzen wie auch Originalausgaben sichert Jörg Schröder zunächst sehr erfolgreich die Finanzierung des MÄRZ-Programms

Ende des Jahres folgt mit Silver Screen. Neue amerikanische Lyrik bei Kiepenheuer  & Witsch bereits die nächste große Anthologie, an der Brinkmann und Rygulla jedoch bereits seit 1968 gemeinsam arbeiten.

Lesung mit Rygulla, Linda Pfeifer, Michael Buthe u.a. an der Universität Köln mit Pop-Platten und roter documenta-Wurst, hiergegen Proteste der örtlichen SDS-Gruppe.

Beginn der Freundschaft mit dem Maler und Grafiker Henning John von Freyend (*1941). Intensive Zusammenarbeit mit EXIT – Die Bildermacher (Berndt Höppner, Thomas Hornemann, Henning John von Freyend), bis ca. 1971. Sie entwerfen die Illustrationen für das Künstlerbuch Edwin’s und die Zeitschrift Der Gummibaum sowie verschiedene Umschläge für Publikationen bei MÄRZ und K&W.

Rolf Dieter Brinkmann beginnt zu fotografieren, mit einer Kodak Instamatic. So entsteht z.B.  der fotografische Essay „Wie ich lebe und warum“, als Beitrag für Renate Matthaeis Anthologie Trivialmythen (1970).  

1971Brinkmann bricht mit seinem Hausverlag Kiepenheuer & Witsch; Rückzug aus der Kölner Szene und dem Literaturbetrieb

Es entstehen umfangreiche Tagebuchnotizen und neue Text-Bild-Collagen als Vorarbeiten zu einem zweiten, nicht realisierten Romanprojekt wie in Erkundungen zur Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand (posthum 1987). Hierfür liest Brinkmann auch zahlreiche wissenschaftliche Lektüren (Anthropologie, Hirnforschung, Linguistik), nicht zuletzt angestoßen durch die Sprachbehinderung des Sohnes Robert. 

Lektüre zahlreicher SF-Romane, davon beeinflusst drei „Stereohörspiele“ für den WDR (1971-73)

1972Oktober 1972 – Juli 1973: Stipendiat der Deutschen Akademie/Villa Massimo in Rom; von Rom aus Reise nach Graz zu einem Literatursymposion (21.-24. Oktober) mit Lesung aus der Cut up-Prosa „To a world filled with compromise we make no contribution“. Längere Aufenthalte im Bergdorf Olevano Romano, dort und in Rom Arbeit an den Materialheften Rom, Blicke (posthum 1979) und Schnitte (posthum 1988). Beschäftigung u.a. mit dem italienischen Renaissance-Philosophen Giordano Bruno sowie der Literatur und Kunst der deutschen Romantik.
1974Aufenthalt als Writer in Residence an der University of Austin/Texas (Januar bis Mai 1974); Reise nach Chicago; Bekanntschaft mit dem Literaturstudenten Hartmut Schnell (*1937); Entstehung des Langgedichts Eiswasser an der Guadelupe Str. (posthum 1985)

Nach der Rückkehr aus Austin Beginn der konkreten Arbeit an Westwärts 1 & 2 mit neuen Gedichten seit 1971; der intensive Briefwechsel mit Hartmut Schnell begleitet und dokumentiert den Entstehungsprozess von Brinkmanns umfangreichstem Gedichtband (vgl. Briefe an Hartmut, 1999)

Wechsel zum Rowohlt-Verlag

197517. April – 21. April: Einladung zum ersten Cambridge Poetry Festival. Brinkmann liest dort (auf Deutsch und Englisch) aus neuen Gedichten.
Mitschnitte der beiden Lesungen wurden 2005 unter dem Titel The Last One veröffentlicht.23. April: Verkehrstod auf der Westbourne Grove, London, Nähe Shakespeare Pub.3. Mai: Beisetzung im Familiengrab auf dem Friedhof St. Georg, Vechta.

24. Juli: Posthume Verleihung des 1. Petrarca-Preises für Westwärts 1 & 2, Laudatio durch Peter Handke auf dem Mont Ventoux (Frankreich)

Außer eigenen Recherchen wurden insb. folgende Quellen für die Zeittafel ausgewertet:
Gunter Geduldig, Ursula Schüssler (Hrsg.): /:Vechta! Eine Fiktion!/: der Dichter Rolf Dieter Brinkmann. Secolo, Osnabrück 1995.

Markus Fauser: Rolf Dieter Brinkmanns Fifties. Unterwegs in der literarischen Provinz. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2018.

Markus Fauser, Dirk Niefanger und Sibylle Schönborn (Hgg.): Brinkmann-Handbuch: Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: Metzler 2020.

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