Klaus Maeck

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

Foto: Fritz Brinckmann

1. Wie sind Sie auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Ich musste länger überlegen, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel: natürlich, das war ACID. Der legendäre Sammelband mit neuer amerikanischer Literatur, auf deutsch! Fantastisch. Suche mir das Buch in meinem Archiv. Wann habe ich das zuletzt gelesen? Mitte Ende der 70er Jahre, was für eine bombastische Zusammenstellung radikaler Texte, frisch und derbe, provokant, total inspirierend. Die einzigen Lesezeichenzettel kleben bei Brinkmanns Nachwort „Der Film in Worten“. Was für eine Schreibe, sofort tauche ich wieder ein in seine wahnsinnigen Reflektionen, seinen Wortschwall, seine multiplen Assoziationen zur Rock- und Underground-Kultur der Zeit. Hey, vielleicht, nein: wahrscheinlich waren Zeilen wie diese ein großer Anstoß für mein aufflammendes Interesse am Filmemachen:

„… ein Film, also Bilder – also Vorstellungen, nicht die Reproduktion abstrakter, bilderloser syntaktischer Muster… Bilder, flickernd und voller Sprünge, Aufnahmen auf hochempfindlichen Filmstreifen Oberflächen verhafteter Sensibilität […]. Die neue amerikanische Literatur […], die völlig selbstverständlich Erfahrungen aus dem Umgang mit technischen Geräten integriert hat und über den Gebrauch von Technik zur Radikalisierung der Phantasien auf eine Zukunft hin gekommen ist, scheint das der bis heute gehandhabten europäischen Literaturart an praktikablem, hinsichtlich der Erweiterung des menschlichen Bewusstseins vorauszuhaben – zumindest im Augenblick, wo das Gefühl für die Notwendigkeit gesellschaftlicher Umstrukturierung wächst.“

Das Gefühl wächst ja heute immer noch und zudem wächst in mir die Überzeugung, dass Brinkmanns Ausführungen zusätzlich zu den Cut-Up-Manuals von Burroughs – letztendlich verantwortlich waren für mein Drehbuch für den Film Decoder, wo ein Sound-Hacker die Kraft von Tönen nutzt, um eine Rebellion anzuzetteln. Smile.1Decoder (D 1984) von Regisseur Muscha – nach einem Drehbuch von Klaus Maeck, Trini Trimpop und Volker Schaefer – ist eine frühe Cyberpunk- … Continue reading Es ist interessant, Jahrzehnte später nochmal auf diese inspirierenden Quellen aufmerksam zu werden, dank dieses Blogs.

2. Welcher seiner Texte hat Ihnen am besten gefallen?
Meine gute Freundin Johanna Schenkel (mit familiären Verbindungen nach Vechta) schenkte mir ein paar Jahre später sein Buch Rom, Blicke. Ich war von der ersten Textseite an überwältigt von seiner Fähigkeit, sein Gedankenchaos mit den aktuellen Geschehnissen auf seiner Zugreise und später in Rom so geistreich, scharfsinnig und emotional zu verbinden. Seiner Fähigkeit, seine intimsten Gedanken zu teilen, seine Wut und seine Hoffnungen, seine Beschäftigung mit sich selbst und mit der Welt. Mit dem Schreiben. Und das immer mit Witz und angenehmem Zynismus, fantastisch. Ich nahm das Buch dann Mitte der 80er Jahre auf eine Italienreise mit und saugte alles an Eindrücken auf. Fing noch auf der Fahrt an, selber einen Text zu schreiben. Ganz in Brinkmanns Stil, die unaufhörlichen Gedanken direkt in ein Notizbuch fließen zu lassen. Eine Schreibübung, eine ‚Routine’, der Text ist nicht wirklich gut geworden, was weiß ich, wie viele Schlüsselworte ich aus Brinkmanns Text kopiert habe, aber auch darum ging es ja, ums Kopieren, copy right or copy wrong. Es war einer meiner ersten längeren Texte und eine große Anregung für weitere. Danke, großer R.D.B.!

3. Was hätten Sie Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Das habe ich nie überlegt. Gerne hätte ich mich über ALLES mit ihm unterhalten, ganz sicher hätte ich gerne einen Film mit ihm gemacht.

4. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… hat nicht nur mir auf die Sprünge geholfen, Texte und Drehbücher zu schreiben, er hat zu unserem Glück viele Autoren und Künstler seiner Generation nachhaltig inspiriert und geprägt.


Zur Person

Klaus Maeck, geboren 1954 in Hamburg, ist Filmproduzent, Autor und Musikverleger. Anfang der 80er Jahre begann Maeck, Super-8-Filme zu drehen und produzierte seinen ersten Spielfilm Decoder (1984), der auf W.S. Burroughs Cut-Ups basiert.2Anm. R. Di Bella: Prägend für Klaus Maecks Verständnis waren hierbei insbesondere The Electronic Revolution / Die elektronische Revolution. Aus … Continue reading Burroughs selbst spielt darin eine kleine Schlüsselrolle. Parallel zum Kino-Release des Films (1986) organisiert Maeck Burroughs’ letzte öffentliche Lesung in Berlin und kombiniert deren Aufzeichnung mit einem Interview von Jürgen Ploog (→ Fragebogen) in dem Filmporträt William S. Burroughs: Commissioner of Sewers (1991).


Ausschnitt (6:23) aus dem Film William S. Burroughs. Commissioner of Sewers (Gesandter des Abschaums)
Deutschland 1991 | 55 Min. | Regie: Klaus Maeck | → Mehr Infos & vollständiger Film auf alleskino.de

Später ist Maeck Mitbegründer und langjähriger Geschäftsführer des unabhängigen Freibank Musikverlags, initiiert von der Band Einstürzende Neubauten, für die er auch als Manager tätig war. Durch seine Tätigkeit als Musikberater für Filme trifft er den Regisseur Fatih Akin, mit dem er 2004 die Produktionsfirma corazón international gründet. Im Jahr 2013 gründet Maeck seine eigene Filmproduktionsfirma Interzone Pictures. Sein jüngster Film Alles ist eins. Außer der 0 (2021) behandelt die Geschichte der deutschen Computerhacker. Nebenbei erschienen immer wieder literarische Texte in der Frankfurter Rundschau, Jungen Welt, Hamburger Rundschau und weiteren Zeitschriften. Soeben erschienen ist eine Auswahl dieser Text in Volle Pulle ins Verderben. Stories – Interviews – Bilder. Moloko Print 2024. → Pressetext


Mehr Informationen
Interzones Pictures
Augen, Blicke. Unterwegs mit Klaus Maeck in Italien“ (Beitrag auf diesem Blog)
maeck.net (Website zum Buch)

Doris Brandt: Punks in Hamburg: Omi war fassungslos“. In: ZEIT online (7. März 2015)
Wilfried Hippen: „Chaotischer Kreativer: Der hinter den Kulissen“. In: taz online (30. 7. 2015)
Jack Sergeant: An Interview with Klaus Maeck“. In: Futuristika! A Zine of Hatred and Lament (Dezember 2014)

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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