Renate Hupfeld

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

1. Wie sind Sie auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Ich begegnete ihm während meines Studiums an der Pädagogischen Hochschule in Köln-Lindenthal.1Alle Anmerkungen ergänzt von Roberto Di Bella Die Pädagogische Hochschule Rheinland war für die Ausbildung der Grund- und Hauptschullehrer sowie … Continue reading Und zwar war es in einem Deutschseminar zum Thema „Heinrich Heine“ im Wintersemester 1965/66 und/oder „Literatur und Gesellschaft“ im Sommersemester 1966. Ob er an beiden Seminaren teilnahm oder nur das erste besucht hat, kann ich nicht mehr genau erinnern. Rolf Dieter Brinkmann kam jedenfalls immer erst, wenn der Seminarraum 134 bereits bis auf die Fensterbänke besetzt und die Veranstaltung längst im Gange war, schob sich mitten durch die Enge und dominierte bald darauf die Diskussion. Er begann mit Professor Brüggemann einen fachlichen Austausch auf gehobenem literarischem Niveau, für mich zu hoch.2Theodor Brüggemann (1921-2006) war ein deutscher Literaturwissenschaftler und Kinder- und Jugendbuchexperte. 1962 wurde er zum außerordentlichen … Continue reading Brinkmann kannte sich wirklich gut aus in der Literatur, doch sein Verhalten fand ich respektlos, ja schroff.

Auszüge aus dem Personal- und Vorlesungsverzeichnis der PH Rheinland, Abtl. Köln
(zum Vergrößern anklicken)3Sämtliche Vorlesungsverzeichnisse der PH Köln (SS 1958 – WS 1979/80) sind mittlerweile als Teil der digitalen Sammlung Die Kölner Personal- … Continue reading

Einen ganz anderen Kommilitonen erlebte ich, als der Autor Rolf Dieter Brinkmann in einem der beiden genannten Semester für unser Deutschseminar eine Veranstaltung in Räumen seines Verlages Kiepenheuer & Witsch vermittelt hatte. Er wurde von den Verlagsmitarbeitern hoch geachtet, war freundlich und agierte konstruktiv. In dem Verlag erschien dann 1968 auch sein Roman Keiner weiß mehr, dessen schön gestalteter Umschlag mich in der Buchhandlung Gonski am Kölner Neumarkt sogleich ansprach, im Gegensatz zum Inhalt. Zu drastisch war mir die Darstellung der Sexualität des Protagonisten. Seitdem begleitete mich das Buch ungelesen auf meinem weiteren Weg mit vielen Umzügen.4Siehe zur Entstehung des Romans den Bericht seines Freundes und Weggefährten Ralf-Rainer Rygulla auf diesem Blog. Für das Originalcover in der … Continue reading

Arche Literaturkalender (April) 2015 mit einem Foto von Brigitte Friedrich (1969). Zum Vergrößern anklicken

Ich erinnere mich, wie betroffen ich war, als mich an einem sonnigen Frühlingsmorgen in Hannover im Jahre 1975 im Radio die Nachricht vom Unfalltod meines Kölner Kommilitonen Rolf Dieter Brinkmann erreichte. Inzwischen war er als Schriftsteller erfolgreich geworden. Genau vierzig Jahre später hatte ich eine Woche lang im Arche Literatur Kalender 2015 sein Bild vor Augen. Zum Gedenken an seinen Todestag am 23. April 1975 erinnerte ein Kalenderblatt mit Foto an ihn. Da nahm ich mir Keiner weiß mehr noch einmal vor, las den Roman bis zum Ende und war erstaunt, wie tief mich die Darstellung jetzt berührte.

Der Text war für mich von der ersten bis zur letzten Zeile hochdramatisch, mit detailreichen Einblicken in die tiefsten Zipfel von Erleben und Gefühlen, bildreichen Szenebeschreibungen an den Schauplätzen Köln, London und Hannover, konsequent aus der Perspektive des Protagonisten als ‘stream of consciousness’ geschrieben, dazu die zeittypischen Leitmotive wie gelbe Lackstiefel, Miniröcke, breite Gürtel und die Musik der Stones. Inzwischen ist das Buch ein Schatz in meiner Sammlung.

Im Herbst 2018  gab es eine weitere Begegnung mit Brinkmann, in der Ausstellung KÖLN 68! Protest. Pop. Provokation im Kölnischen Stadtmuseum. Dem „Autor der Kölner Schule des neuen Realismus“, so einer der Begleittexte, wurde darin eine eigene Nische gewidmet.5Zur Ausstellung (20. Oktober 2018 – 24. Februar 2019) ist ein umfangreicher und üppig illustrierter Katalog erschienen. Hrsg. von Michaela Keim … Continue reading Neben verschiedenen Büchern, Zeitschriften und Manuskripten war auch ein Filmchen aus der Sendung Hierzulande – Heutzutage vom 18. März 1968 zu sehen. Es zeigte ihn bei einer Feier seines Verlages Kiepenheuer & Witsch. Da wurde getanzt, geplaudert, interviewt. Brinkmann saß vor Kaffeetasse und vollem Aschenbecher, las aus einem Text. Es war sein Gedicht „Eine übergroße Photografie von Liz Taylor“. Eine Zeile daraus ist mir in Erinnerung geblieben: „Und noch immer lächelt Liz Taylor / mich an…“.6Vgl. Rolf Dieter Brinkmann: Die Piloten. Neue Gedichte. Köln: Kiepenheuer & Witsch 1968, S. 40f. Die Inspiration zu diesem Gedicht kommt … Continue reading

2. Welcher seiner Texte hat Ihnen am besten gefallen?
Während meiner Zeit als Lehrerin in der Jugendpsychiatrie Hamm arbeitete ich im Deutschunterricht mit älteren Schülern gerne mit Texten aus der Edition Alltagslyrik und Neue Subjektivität (Pegasus Klett), am liebsten mit Gedichten von Rolf Dieter Brinkmann, zum Beispiel „Die Konservendose“ von 1967.7Vgl. Hans-Heino Ewers (Hg.): Alltagslyrik und neue Subjektivität: mit Materialien. Editionen Pegasus – Klett 1982.  Rolf Dieter Brinkmann ist … Continue reading. Mich faszinierte, wie in der Kargheit der Darstellung Bilder im Kopf entstehen, ohne fragen zu wollen, was der Dichter sich denn dabei gedacht habe. Über die Betrachtung hinaus gaben Brinkmanns Gedichte immer wieder Impulse für eigenes Schreiben der Schüler.

3. Was hätten Sie Brinkmann gerne noch persönlich gesagt oder gefragt?
Wir haben damals in Köln nie miteinander gesprochen. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass mich sein Mut, neue Wege des literarischen Schreibens zu suchen und zu finden, im Nachhinein schwer beeindruckt und dass es mich freut, ihn in Köln persönlich erlebt zu haben.

4. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… hat mit seiner schnörkellos direkten Sprache sowohl mein Verständnis von Literatur als auch mein eigenes Schreiben beeinflusst.

Zur Person
Renate Hupfeld, geboren in Hamm in Westfalen, 1964 Abitur daselbst, Studium an den Pädagogischen Hochschulen Münster, Braunschweig und zuletzt Köln (Examen im November 1969). Als Lehrerin tätig an Grundschulen in Hannover-Herrenhausen, Bingen und Partenheim in Rheinhessen, dort auch Schulleiterin. Weitere Tätigkeit als Lehrerin in der Jugendpsychiatrie Hamm. 2010 veröffentlichte sie unter dem Titel Zeitbilder 1840–1850 (Aisthesis Verlag) einen Band mit Texten des deutschen Theologen und Vormärz-Autors Theodor Althaus (18221852). Kurz darauf erschien ihre erzählende Biografie Theodor Althaus – Revolutionär in Deutschland (Taschenbuch und Kindle-Edition 2011). Des Weiteren verfasst Renate Hupfeld Reiseberichte und Kurzgeschichten, siehe u.a. die Sammlung Wenn wir von Liebe reden (Taschenbuch und Kindle-Edition 2013). Alle Veröffentlichungen der Autorin → hier erhältlich.

Mehr Informationen
https://blog.renatehupfeld.de
https://www.renatehupfeld.de (bis 2014)

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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