Michael Krüger

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

 

1. Wie sind Sie auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Ich glaube, durch Nicolas Born, der damals im Literarischen Colloquium Berlin Gast war.Ich habe in der Folge alle seine Bücher und Übersetzungen gelesen. Was fraglich ist wofür war der erste Gedichtband, den ich sorgfältig gelesen und mit den Autoren aus meinem Bekanntenkreis diskutiert habe. Brinkmann war drei Jahre älter als ich, aber er war uns meilenweit voraus, das war mir immer bewußt.

Michael Krüger

Michael Krüger // Foto: (c) Peter-Andreas Hassiepen, München

2. Welcher seiner Texte hat Ihnen am besten gefallen?
Ich kann mich noch sehr gut an die Lektüre des Romans Keiner weiß mehr erinnern, eine verstörende Lektüre deshalb, weil wir ja das dort beschriebene Problem kannten: wie wollen wir leben, wenn wir keineswegs so leben wollten wie unsere Eltern. “Er dachte, als sei es jemand anderes, doch in ihm, der das für ihn dachte…”. Das entsprach genau unseren Problemen. Dafür gab es damals ein sehr strapaziertes Wort, das heute nicht mehr benutzt wird: Entfremdung.
Brinkmann hat mich später einige Male besucht und sogar eine Zeitschrift vorgeschlagen, die wir beide zusammen herausgeben sollten: Sie sollte Godwi heißen, nach Clemens Brentanos Roman. Aber sein Misstrauen war damals schon so ausgeprägt, dass ich nicht näher darauf eingegangen bin. Und in Graz, beim Steirischen Herbst, war er so erbost, dass ich mit Leuten zusammensaß, die er aus Gott weiß welchen Gründen nicht leiden konnte, dass auch er den Kontakt abbrechen wollte. Als dann Westwärts 1&2 erschien, waren alle Streitigkeiten und Animositäten wie weggeblasen; es ist und bleibt ein herrlicher Gedichtband.

3. Was hätten Sie Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Die Welt geht gewiss unter, aber erst sehr lange nach dir.

4. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
…ist der Dichter meiner Generation, der die Aporien unserer Zeit am deutlichsten beschrieben hat.


Zur Person

Michael Krüger, geboren 1943 in Wittgendorf/Sachsen, lebt in München.  Von 1962 bis 1965 arbeitete er als Buchhändler in London. Ab 1968 war er als Verlagslektor beim Carl Hanser Verlag tätig, dessen literarischer Leiter er 1986 wurde. 1995 bis 2013 war er Geschäftsführer des Verlags, 1981 bis 2014 alleiniger Herausgeber der Literaturzeitschrift AKZENTE.1Zur Geschichte der Zeitschrift vgl. Susanne Krones: ‘Akzente’ im Carl Hanser Verlag. Geschichte, Programm und Funktionswandel einer … Continue reading Neben vielen anderen Auszeichnungen erhielt Michael Krüger den Peter-Huchel-Preis und den großen Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste, zu deren Präsident er 2013 gewählt wurde.

Unter den zahlreichen Publikationen der letzten Jahre sind zu nennen: Was in den zwei Wochen nach der Rückkehr aus Paris geschah. Eine Erzählung. Berlin: Suhrkamp 2022; Michael Krüger über Gemälde von Segantini. München: Schirmer/Mosel 2022 und Das Strandbad. Szenen einer Kindheit. Hamburg: Groothuis 2022. In unserem Zusammenhang genannt werden muss auch sein Erinnerungsbüchlein Ein Ich das querliegt zur Welt. Zur Frühgeschichte des Petrarca-Preises. Keicher-Verlag 2020. Der Titel zitiert die Laudatio von Peter Handke, die dieser anlässlich der posthumen Verleihung des ersten Preises im Juni 1975 auf dem Mont Ventoux  hielt. Neben Handke und Krüger saßen damals in der ersten Jury auch Bazon Brock (*1936) und Nicolas Born (*1937-1979). Eine kleine Auswahl seiner Gedichte ist auch auf Französisch erschienen, in der Übersetzung durch Joël Vincent (Mes villes d’Europe/Mein Europa. Thonon-les-Bains: éditions alidades 2021).


Mehr Informationen


Michael Krüger spricht über Lyrik

Alle Folgen der Reihe “Michael Krüger spricht…” gibt es auf Youtube.
Ausführliches Interview mit Michael Krüger (SZ, 4. Oktober 2013)

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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