Mark Terrill

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

Der US-amerikanische Lyriker und Übersetzer Mark Terrill beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit dem Werk von Rolf Dieter Brinkmann.

Mark Terrill // Foto: Francis Poole

1. Wie und wann sind Sie auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Erst 1995, durch eine Besprechung von too much. Das lange Leben des Rolf Dieter Brinkmann in der Zeitschrift Die Woche. Das Buch habe ich sofort gekauft, ebenso die kleine Anthologie Künstliches Licht aus dem Reclam-Verlag1Rolf Dieter Brinkmann: Künstliches Licht. Lyrik und Prosa. Hrsg. von Genia Schulz. Rowohlt: Reinbek 1994. Danach habe ich mir mehr oder weniger alles von und über Brinkmann besorgt, was es überhaupt gab. Ich habe sofort eine bestimmte „Nähe“ zu Brinkmann gefühlt, die ich bei anderen deutschen Lyrikern bis dahin nicht empfunden hatte. Wahrscheinlich war es die Tatsache, dass er so sehr von der sogenannten „New American Poetry“ (vertreten durch Frank O’Hara, Ted Berrigan, Ron Padgett, John Ashbery, Gregory Corso, Allen Ginsberg, John Wieners, Joanne Kyger usw.) geprägt und beeinflusst war, mit der ich mich schon damals ziemlich gut auskannte. Auch alle Lyriker in den beiden von Brinkmann herausgebrachten Anthologien, Acid (gemeinsam mit Ralf-Rainer Rygulla) und Silver Screen, waren mir sehr vertraut.

2. Welcher seiner Texte hat Ihnen am besten gefallen?
Ich kann nicht sagen, welcher Text oder welches Buch von Brinkmann mir am besten gefallen hat, weil ich das ganze Konvolut (das ja auch filmische, grafische und akustische Arbeiten umfasst) als ein riesiges, unvollendetes Gesamtwerk betrachte. Davon abgesehen gibt es sicherlich Sachen, die ich besonders schätze, wie z.B. die frühe Kurzgeschichte „Der Arm“2Anm. R. Di Bella: In diesem Prosastück (entstanden zwischen 1962 und 1964) geht es um die Ängste eines pubertierenden Jungen in den 1950er Jahren … Continue reading, das Gedicht „Künstliches Licht“3Zuerst in R.D.B.: Standphotos. Gedichte. Kiepenheuer & Witsch: Köln und Berlin 1969. Neuveröffentlichung in R.D.B.: Standphotos. Gedichte … Continue reading sowie Westwärts 1 & 2 und Rom, Blicke als Ganzes. Brinkmanns radikale, experimentierfreudige Erkundungen sind heute noch genauso relevant wie damals. Jeder, der sich kreativ mit Literatur auseinandersetzt, kann immer noch von ihm lernen.

3. Warum macht es Spaß, Brinkmann ins Englische zu übersetzen? Was ist die besondere Herausforderung?

Brinkmann-Anthologie von Mark Terrill. Covergestaltung unter Verwendung einer Original-Collage von R.D.B. von 1967.  (Zum Vergrößern anklicken)

Am Anfang war ich überrascht, dass seine Gedichte nicht schon ausführlich ins Englische übersetzt worden waren. Die wenigen Beispiele, die ich gesehen habe, fand ich ziemlich holperig und alles andere als gelungen. Es fehlte ihnen der richtige Flow. Als Übersetzer sind Sprachkenntnisse in der Zielsprache extrem wichtig, am besten als Muttersprachler, aber auch dichterische Erfahrungen sind unentbehrlich.

Ich habe Brinkmann nie persönlich kennengelernt, aber dank seines riesigen Œuvres, das sehr viel Persönliches und Inneres preisgibt, war es mir möglich, so glaube ich, seiner Denkweise ziemlich nah zu kommen. Trotzdem, als Übersetzer arbeitet man immer in einem schmalen Niemandsland zwischen Objektivität und Subjektivität. Eine rein objektive, Eins-zu-eins-Übersetzung ist kaum möglich.

Was man als Übersetzer nicht im Wörterbuch findet, muss man im Kopf des Dichters suchen.

Insbesondere bei Gedichten muss man ständig Kompromisse schließen. Die eigentliche Herausforderung besteht darin, sich eben diesen Kompromissen zu widersetzen, auch wenn sie einem manchmal als Ausweg erscheinen. Stattdessen gilt es das abzubilden, was der Autor uns zu sagen versucht, und zwar so “wahrhaftig” wie möglich. Das muss aber nicht nur sprachlich, sondern auch literarisch angemessen sein. Was man also nicht im Wörterbuch findet, muss man im Kopf des Dichters/der Dichterin suchen, um seine/ihre Gedanken auf originelle Weise wiederzugeben. Doch klappt das leider nicht immer.

Im Falle von Brinkmanns Lyrik waren allerdings die Herausforderungen wesentlich geringer als der Spaß, den ich beim Übersetzen hatte. Gerade weil die amerikanische Prägung bei Brinkmann so tief war, hatte ich manchmal das Gefühl, seine Gedichte ‘zurück’ ins Englische zu übertragen. Meine ersten Übersetzungen sind alle sehr gut angekommen und wurden in renommierten Literaturzeitschriften veröffentlicht, wie Partisan Review, Chelsea u.a. Das führte zu einem ersten Sammelband, auf den bald ein zweiter folgte, und so weiter. Später habe ich auch an dem Film von Harald Bergmann, Brinkmanns Zorn, mitgearbeitet, erst das Drehbuch übersetzt, dann alle Untertitel.4Vgl. zum gesamten, mehrteiligen Filmprojekt die Website des Regisseurs sowie das ausführliche Interview mit dem Hauptdarsteller Eckhard Rhode auf … Continue reading Für meine eigene Entwicklung als Dichter waren das alles wichtige Erfahrungen und dafür bin ich sehr dankbar.

4. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
…was the real thing.


Zur Person

Mark Terrill wurde 1953 in Berkeley/California geboren und arbeitete als Seemann, Totengräber, Taxifahrer, Barmann, Schweißer, bei der Deutsche Post sowie als Roadmanager für verschiedene Bands. Er lebt bereits seit 1984 in Norddeutschland. Seine literarischen Übersetzungen (sowohl ins Englische wie ins Deutsche) und eigenen Texte erschienen bislang in mehr als eintausend Zeitschriften und Anthologien. Eine Auswahl seiner Lyrik wurde veröffentlicht als Great Balls of Doubt. Illustrationen von Jon Langford (Verse Chorus Press 2020). Zuletzt erschienen außerdem sind der Sammelband The Undying Guest (BlazeVOX Books 2023) mit eigenen Prosagedichten und Kurzprosa, der kollaborativ (mit Francis Poole) verfasste Roman Ultrazone: A Tangier Ghost Story (The Visible Spectrum 2022) über William S. Burroughs Zeit im marrokanischen Tanger sowie verschiedene Übersetzungsprojekte (siehe unten). Für mehr Informationen siehe seinen Eintrag auf Wikipedia (EN).

Arbeit als Übersetzer
Mark Terrill hat auch als literarischer Übersetzer zahlreiche Veröffentlichungen in Buchform vorzuweisen. Dazu zählen Titel mit Texten von u.a. Nicolas Born, Jörg Fauser und Thomas Brasch sowie jüngst erschienene Zusammenstellungen zu den US-amerikanischen Autoren Gregory Corso (1930-2001) und Lewis Warsh (1944-2020). Am intensivsten jedoch ist seine Beschäftigung mit der Lyrik von Rolf Dieter Brinkmann. Das Vorwort zur umfangreichen Auswahl aus dem lyrischen Werk von Rolf Dieter Brinkmann (An Unchanging Blue. Selected Poems 1962-1975. Parlor Press 2011) gibt es, zusammen mit genaueren Angaben zu Mark Terrills übersetzerischem Werk, ebenfalls auf diesem Blog. → zum Beitrag

Literarische Leseproben
Mark Terrill: “The Turnaround” (Prosagedicht). In: BODY. poetry • prose • word (6. Juni 2019) → online lesen


Mark Terrill spricht sein Gedicht “A Poem For The Here And Now” (Ein Gedicht für das Hier und Jetzt). (Dauer: 3’02”).
Erschienen ist der Text u.a. in: From a terrace in Prague: a Prague poetry anthology. Hrsg. von Stephan Delbos.
Litteraria Pragensia (Karls-Universität): Prag 2011.

 

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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