Karl-Eckhard Carius

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

1. Wie sind Sie auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?

Karl-Eckhard Carius // Foto: James G. Skone

Karl-Eckhard Carius // Foto: James G. Skone

In dem von Walter Aue 1972 herausgegebenen Band typos 2 Selbst/Kenntnisse, in dem ich mit drei eigenen Beiträgen vertreten bin (“Das ist Leben”, “Landung im Leningrab” und “Zusammenhang mit OR-PHEUS”), stieß ich erstmals auf Brinkmann: Neben einem kleinen Porträtfoto des Autors von Brigitte Friedrich befindet sich die Textzeile „Was geht mich eigentlich Polyurethan an?“ – Ich maß dieser (vermutlich vom Buchautor erstellten) Bild-Text-Collage in ihrer konnotativen Beziehung weniger Bedeutung bei, da das Arbeiten mit Brüchen und fragestellenden Kontrasten ein damals zeittypisches Stilmittel war und ich selbst in dieser Phase ähnlich künstlerisch agierte und schrieb. Erst durch meine spätere Lehrtätigkeit an der Universität in Vechta, dem Geburtsort Brinkmanns, befasste ich mich intensiver mit ihm.

Collage von Walter Aue (?) in dem von ihm herausgegebenen Band typos 2 Selbst/Kenntnisse (1972)

Collage von Walter Aue in dem von ihm herausgegebenen Band typos 2 Selbst/Kenntnisse (1972)

Sein Ausbruch aus der bürgerlichen Öde der katholisch geprägten Kleinstadt wurde mir hier leibhaftig veranschaulicht. Vielen gilt er in Vechta heute noch als Nestbeschmutzer und in seiner subversiven Schreibweise unnahbar, ohne je etwas aus seinem Werk gelesen zu haben. Dennoch rühmt man sich mittlerweile von offizieller Seite des großen „Sohnes“ der Stadt.1Anm. R. Di Bella: Siehe hierzu seinen offenen Brief aus Anlass des 80. Geburtstags von Rolf Dieter Brinkmann am 16. April 2020. Das forderte mich heraus, den Entgrenzer und Un-Heimeligen in einer Ausstellung zu thematisieren. Seine provozierende Denk- und Schreibweise, sein scharfer Blick sowohl auf  die jeweils bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse als auch auf das alltägliche Leben waren für mich Ansätze für die Konzeption. So entwickelte und realisierte ich 2008 mit Studierenden des Faches Designpädagogik an der Universität Vechta die Ausstellung „Der unheimliche Brinkmann – Zeichen für einen Grenzgänger“ (→ zur Website).2»Der unheimliche Brinkmann – Zeichen für einen Grenzgänger«, 26. September – 28. Oktober 2008, Foyer Kreishaus Vechta. Eine der … Continue reading

2. Welcher seiner Texte hat Ihnen am besten gefallen?
Brinkmann lässt sich nicht auf einen Text fokussieren. In Erkundungen für die Präzisierung des Gefühls für einen Aufstand… lese ich immer wieder gerne. Hier begegne ich seinen Blicken „in die Räume dahinter“. Sie erinnern mich an meine exzessiven Jahre in Berlin, an Wege in Rom – sie bestätigen Gefühle für einen Aufstand.

3. Was hätten Sie Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Schau’ auch ostwärts – und tiefer in dich hinein.

4. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… war ein Seismograph meiner Generation, konsequent und radikal in seiner künstlerischen Agitation.

Bilder einer Ausstellung

Bilder der Slideshow © KE Carius und Yorck Maecke

Zur Person
Karl-Eckhard Carius, geboren 1942 in Berlin. Studierte Kunst und Philosophie an der Hochschule der Künste Berlin. Meisterschüler bei Prof. Bernhard Heiliger und Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes. Von 1994 bis zur Emeritierung 2007 Inhaber des Lehrstuhls des von ihm konzipierten Faches Designpädagogik an der Universität Vechta. 2002 gründete er dort das Institut für intermediäre Gestaltung (ImeG), dessen Leiter er bis 2008 war.

Der von Karl-Eckhard Carius betreute Band Brinkmann. Schnitte im Atemschutz (München: edition text+kritik 2008) begleitete das oben erwähnte Ausstellungsprojekt. Über zwanzig Autoren, Literaturwissenschaftler und Zeitzeugen kommentieren darin Werk und/oder Leben Brinkmanns (z.B. Bazon Brock, Peter Handke, Elfriede Jelinek, Martin Kagel, Michael Krüger, Jan Volker Röhnert, Eckhard Schumacher u.a.m.). Zuletzt erschienen außerdem: CARIUS #68+ / Im Labyrinth der Ereignisse. Hrsg. von Ralf Schnell. DISTANZ Verlag 2019 und Karl-Eckhard Carius: „Projekt Rolf Dieter Brinkmann: Zeichen für einen Grenzgänger“. In: ders., Maieutisches Stöhnen: über Ästhetische Bildung: ein Fall von Design-Poetik. Mit einem Essay von Bazon Brock und einem Epilog von Ralf Schnell. Bielefeld: Athena wbv 2022, S. 186-193.

Mehr Informationen
www.ke-carius.de 

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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