Gundula Schiffer

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

1. Wie bist Du auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?

Gundula Schiffer. Foto: Inga Geiser

Gundula Schiffer // Foto: Inga Geiser

Das ist, ehrlich gesagt, noch gar nicht so lange her; drei, vier Jahre etwa. Der Name war mir natürlich schon lange ein Begriff, vor allem als Kölner Dichter, nicht zuletzt durch das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium. Aber ich kannte bisher keine Texte von ihm. Ich glaube sogar, es war Dein Buch Das wild gefleckte Panorama…, Roberto, was gerade herauskam, und dass unter Lyriker- und Übersetzerkollegen der Name irgendwie immer wieder so selbstverständlich fiel, was mir schließlich den Impuls gab, Gedichte und Prosa aus der Unibibliothek auszuleihen. Ich entdecke immer sehr gerne neue Stimmen: Westwärts 1 & 2 sowie Keiner weiß mehr waren dann meine ersten Brinkmann-Lektüren.

2. Welcher seiner Texte hat Dir am besten gefallen?
Es sind vor allem zwei Brinkmann-Gedichte, die mich gleich angesprochen und sich dann in mein eigenes poetisches Schaffen gewoben haben: „Kleiner Nordwind“ und „Nacht“, beide aus der Sammlung Westwärts 1&2. In „Nacht“ mag ich besonders die Anfangsverse und die Schneeatmosphäre: „3 Grad C unter Null, & die / Nacht ist viele Zitate“; mit ihnen beginnt mein Gedicht „Brinkmanns Nacht“, in dem ein Kölner Abend im Spätsommer „poetisch vereiswürfelt“ sein will. Brinkmanns „CocaCola-Thermometer“ hat sicher mitinspiriert, dass ich vom „Kit Kat purer Freude“, vom „echten Break im Lebens-Blues“ spreche.

Gundula Schiffer: "Brinkmanns Nacht"

Gundula Schiffer: “Brinkmanns Nacht” (2017) // Zum Vergrößern bitte anklicken

Die Entdeckung Brinkmanns geschah parallel zu zwei für mich sehr wichtigen literarischen Projekten: meinen Zweitübersetzungen von Lea Goldbergs Übersetzungen der Sonette aus Francesco Petrarcas Canzoniere sowie die Arbeit an meinem ersten Lyrikband, für das ich gerade mit dem Größenwahn Verlag die passende Verlagsheimat gefunden hatte. Der letzte Vers aus Petrarcas berühmtem Sonett „Pace non trovo“, aus Goldbergs hebräischer Version gereimt ins Deutsche gebracht, lautet bei mir: „so sehr, oh Herrin, ach, tut Ihr mir weh.“ Als ich meine Fassung in einer Übersetzerwerkstatt zur Diskussion stellte1Siehe Text und Übersetzungen im PDF-Dokument → Icon PDFDownload [250 KB] , habe ich bei dem umgangssprachlichen „weh tun“ auch auf den wunderbaren Vers aus Brinkmanns „Kleiner Nordwind“ verwiesen: „Sprache, du tust mir weh“.

Man spürt den existentiellen Ernst, den die Literatur für diesen Dichter hat: „Noch war es möglich, über ein Buch zu weinen“, heißt es in jenem Gedicht ebenfalls. Beeindruckt hat mich auch die Geschichte um den Druck seines Lyrikdebüts Ihr nennt es Sprache, den er angeblich wegen Druckfehlern zurückzog. Diese Obsession, Genauigkeit, zuweilen panische Sorge in Bezug auf das eigene Werk ist sicher vielen Dichtern vertraut. Der Roman Keiner weiß mehr ließ mich vielfach verstört zurück. Schonungslos offen beschreibt Brinkmann hier das Dilemma eines schreibenden Ehemanns und Familienvaters. Wünscht der Ich-Erzähler seiner Frau nicht an einer Stelle sogar den Tod (durch einen Autounfall), womit prophetisch vorweggenommen wird, was dem Autor später selbst widerfahren sollte? Dinge wie diese gehören zu den großen Unheimlichkeiten der Literatur. Grausames und Zartes, Beschwingtes und Melancholisches stehen so nah nebeneinander bei diesem Autor; sie machen wohl seine Anziehungskraft aus.

3. Was hättest Du Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Ich hätte mich gerne mit ihm über Köln unterhalten; was es für ihn bedeutet hat, als Schriftsteller in dieser Stadt zu leben, welche Orte und Plätze er besonders gerne aufgesucht hat und warum. Dann hätte ich mit ihm über die spannungsvolle, rätselhafte Verbindung von Leben und Schreiben sprechen wollen; und ihn gefragt, was er denkt, was Dichtung eigentlich „mit uns macht“, warum wir uns durch Sprache vergewissern, wozu wir da sind, immer neue Wortwelten erwachsen lassen.

4. Ergänze bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… zählt zu den „poets who died young“, deren radikales Sprachleben abrupt abbrach und eine tragische Lücke zurücklässt.


Zur Person

Gundula Schiffer, geboren 1980 in Bergisch Gladbach, lebt als Literatin, Poetin und Übersetzerin aus dem Hebräischen, Französischen und Englischen in Köln. Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft (Komparatistik), Kunstgeschichte und Philosophie in München. Widmete sich anschließend der hebräischen Sprache und Literatur, u.a. an der Hebräischen Universität in Jerusalem. Nach ihrer Promotion 2010 über die Poesie der Psalmen in der Übersetzung von Moses Mendelssohn (Beredtheit der Form) war sie kurzzeitig als Gymnasiallehrerin tätig. 2014 erhielt sie für ihre Arbeit an Lea Goldbergs Roman Verluste – Antonia gewidmet (Arco Verlag 2016) das erste Nachwuchsstipendium für Literaturübersetzer der Kunststiftung NRW. Zuletzt erschienen sind ihr erster eigener Lyrikband Jerusalem-Köln. Süden über meinem Buch. Poesie & Liebes-Psalmen (Größenwahn Verlag), Was es bedeuten soll: Neue hebräische Dichtung in Deutschland. Hrsg. zus. mit Adrian Kasnitz (parasitenpresse 2019) sowie ihre Übersetzung des Romans von Aharon Appelfeld: Sommernächte (Rowohlt Verlag Berlin 2022).


Mehr Informationen
www.gundula-schiffer.de

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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