Bert Brune

Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

Bert Brune // Foto: Privat

Bert Brune // Foto: Privat

1. Wie bist Du auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Rolf Dieter Brinkmann sah ich einmal Ende der 60er Jahre in der U-Bahn-Baustelle am Kölner Neumarkt. Er stand erhöht, im dunklen Anzug, mit Krawatte und weißem Hemd, eine auffällige Erscheinung in der eher salopp gekleideten Menge, und erzählte etwas. Wahrscheinlich war es der einleitende Kommentar zu den experimentellen Filmen (etwa von Andy Warhol), die damals dort, auf einer Betonwand, gezeigt wurden, Underground-Filme, passend im ‚Underground‘ der neuen U-Bahn vorgeführt.1Anm. R. Di Bella: Bert Brune verweist hier auf die Aktionen der Kölner Gruppe XSCREEN. Kölner Studio für den unabhängigen Film, gegründet im … Continue reading Kann aber auch sein, dass er Redner auf einer jener Demos war, die die verhärteten autoritären Strukturen der Gesellschaft kritisierten. Jedenfalls war mir sein Name bereits bekannt, als ich einige Jahre später Acid, die von ihm und Rygulla herausgegebene Anthologie, in einem Buchladen  fand und beeindruckt war von den unkonventionellen, anarchistischen, erotischen Texten der jungen amerikanischen Autoren.

2. Welcher seiner Texte hat Dir am besten gefallen?
Weniger seine Gedichte als vielmehr seine Tagebuchaufzeichnungen und Briefe, wie in  Erkundungen…, Rom, Blicke oder Briefe an Hartmut. Weil Brinkmann darin als Person deutlich wird: als Ehemann und Vater, Schriftsteller und Zeitgenosse, als Bürger von Köln. Wohl auch deshalb sprechen mich diese Bücher an, weil ich selbst, wie Brinkmann, gerne biographische Texte schreibe und wie er ein Stadtwanderer bin, durch die Straßen und Gassen Kölns laufe und festhalte, was ich sehe, höre, fühle.

Brinkmanns Wohnhaus in Köln

Brinkmanns Wohnhaus in der Engelbertstraße 65, Köln (1995).

Brinkmanns Wohnhaus in Köln

“Gedenkinschrift” von ca. 1992 // Beide Fotos: Olaf Selg (www.brinkmann-literatur.de)

Ich habe dabei wohl eher einen milden Blick auf das Geschehen. Und vielleicht bin ich auch deshalb so angetan von RDB, weil er das genaue Gegenteil von mir war. Er nahm außerdem kein Blatt vor den Mund, wenn es um seine Vorstellung von Kunst ging, von Dichtung im Besonderen, und hierbei auch seine Literatur-Kollegen manchmal rüde anmachte. Aber er war auch einer, der Vorbild sein konnte. Er zeigte, dass man, vor allem als Künstler, nicht zu viele Kompromisse machen sollte. An das glauben soll und das verwirklichen, was man für richtig hält. Und seine ganze Energie dafür einsetzt. Was allerdings eben auch dazu führen kann, dass man die Leute, mit denen man es im Alltag zu tun hat, die Freunde, die Kollegen, die eigene Familie vor den Kopf stößt.

Aber mit seiner Radikalität begeisterte Brinkmann damals vor allem eine jüngere Generation, Leute, die ebenfalls an die Grenze gehen wollten und ihre Sicht nicht durch moralische und künstlerische Vorgaben eingeengt sehen wollten. Bezeichnend für die Art, wie man ihn sah und vielleicht noch sieht, ist der Spruch, den wohl einer von diesen Fans an die Wand neben der Eingangstür von Brinkmanns Wohnhaus in der Engelbertstr. mit schwarzen, zackigen Buchstaben wie gemeißelt hinpinselte und der längst übermalt wurde:

In diesem Haus
schrieb, liebte und haßte
Rolf Dieter Brinkmann
:/Aber das Leben erschlaffte.

3. Was hättest Du Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Ich hätte ihn zu den schönen Momenten in seinem Leben befragt. Worüber er sich am meisten gefreut und welche Menschen, Bücher, Orte ihn besonders beeindruckt haben.

4. Ergänze bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… gibt jedem seiner Leser einen Adrenalinstoß, man sieht selbst nun unwillkürlich genauer hin, nimmt seine Umgebung intensiver wahr, fühlt sich seinerseits aufgefordert, zu notieren, zu registrieren, um alles, was um einen herum geschieht, zu reflektieren und zu beurteilen, selbst das Banale, das Alltägliche. Man erfährt bei Brinkmann nicht nur, welche Zigarettenmarke und wie viele Zigaretten er täglich rauchte, wie viele Biere er trank, wann und wo er einkehrte, sondern auch die einzelnen Preise. Kommt ja in der Literatur selten vor. Über Geld schreibt man als Autor nicht, obwohl die finanzielle Situation ja gerade bei den künstlerisch tätigen Leuten eine wichtige Rolle spielt. Auch in dem Punkt ist Brinkmann Vorbild, dass er nämlich die Bedeutung des Geldes in seinem Werk nicht ausklammert.2Anm. R. Di Bella: Das Geldmotiv taucht in zahlreichen Abwandlungen insbesondere in den späten Texten Brinkmanns auf. Siehe exemplarisch folgende … Continue reading


Zur Person
Bert Brune, 1943 in Büren/Westf. geboren, studierte 1966 bis 1970 Germanistik, Geschichte und Theaterwissenschaften in Köln, wo er seitdem lebt. Bis 1979 als Lehrer an einem Gymnasium tätig, widmete er sich hiernach hauptberuflich dem Schreiben. Mittlerweile sind rund 30 Bücher von ihm veröffentlicht worden. Auch publizierte er Lyrik und Prosa in zahlreichen Zeitschriften und Anthologien. Seit 2009 erscheinen Bert Brunes Bücher im Roland Reischl Verlag (→ zur Übersicht). Zum 80. Geburtstags des Autors ist dort erschienen von Norbert Rath: Zum Werk von Bert Brune: Einladung zur Lektüre. Roland Reischl Verlag 2023.

Der Stadtwanderer (2023) – ein Film von René Klammer (ca. 23 min.)

Weitere Infos
Bert Brune über sein Buch Der Stadtwanderer (Kurzvideo)
Leseprobe aus Bert Brune: Der Stadtwanderer → Leseprobe Bert BruneDownload [916 KB]
Leseprobe aus Bert Brune: Der Aufbruch → zum Beitrag auf diesem Blog
Sonja Alexa Schmidt: “Südstadt-Wanderer Bert Brune” (29. Juni 2012). Auf: Meine Südstadt.de

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
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