Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann
1. Wie bist Du auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Die Art und Weise, wie Richard Burns, den ich während eines Arbeitsbesuchs im Sommer 1986 in Cambridge treffe, mir in die Augen blickend sagt: You don’t know Rolf Dieter Brinkmann? Amazing. He’s a fine German poet. A very fine German poet, öffnet mir erstmals Augen, Ohren für die Wörter Brinkmanns.1Anm. R. Di Bella: Im April 1975 folgte Rolf Dieter Brinkmann der Einladung des englischen Lyrikers Richard Burns (*1943, auch bekannt als Richard … Continue reading

Theo Breuer // Foto: Privat
2. Welcher seiner Texte hat Dir am besten gefallen?
Ob Westwärts 1 & 2, Keiner weiß mehr, Rom, Blicke, “Vanille”, Briefe an Hartmut, Standphotos usw. – Brinkmanns jede Einzelheit neu entdeckende Texte, deren komplexe Kombinationen mich faszinieren, indem sie nicht/s beschönigen, eben drum ›schön‹ sind, dringen in alle denkbaren Lebensbereiche ein, sind assoziativ, anschaulich, bild-, detailreich, genau beschreibend, ambivalent zwischen Extremen schwingend: Zerstörte Landschaft – – – Ich gehe in ein / anderes Blau, wahnsinnig wendig, immer wieder wild lodernd, naturgemäß auch antilyrisch fundiert, freimetrisch und machen – so oder so – kontinuierlich kurzen Prozeß mit mir, ich lese, ich werde, schlag Purzelbäume. Hier wird alltäglich Erlebtes hinein in eine b∙u∙c∙h∙s∙t∙ä∙b∙l∙i∙c∙h immer wahrhaftiger wirkende Wortweltgestalt gefeuert, die vor Abgründen, naturgemäß, nicht haltmacht. Ich erlebe diese radikal unverblümte, klare, von Empfindung, Gefühl, Sinnlichkeit strotzende Sprache mit aufgerißnen Augen, aufgesperrten Ohren, versink in vibrierenden Versen, zuckenden Zeilen mit wehmütig wirkenden Wörtern.
3. Was hättest Du Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Bei der Rezeption von GeschichtsBüchern wie Schnitte (auch Westwärts 1 & 2 sowie die weiteren Materialbücher lese ich als solche) hechle ich, immer wieder mit Nase und Schnauze im Blut, im Dreck, im Großstadtgekröse und -getöse, dicht entlang an der Schweißspur des Lebens; in radikal unbarmherzig wirkender Nahaufnahme wird hier tief ins Fleisch des Phantoms Gegenwart geschnitten, kein Wunder also, wenn ich über viele Seiten hinweg rasend Phantompowerschmerz verspüre. – Ich habe lange überlegt, was ich Brinkmann gern direkt gesagt hätte, und das sind die Worte, die ich als Antwort gefunden habe. In einem früheren Essay betone ich, daß für mich ausschließlich das Werk relevant ist, ich keinen persönlichen Bezug zu Brinkmann haben kann, daher diese Art Antwort, die den sinnlichen Charakter meiner RDB-Rezeption deutlich macht.
4. Ergänze bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… ist abrückend, allegorisierend, anfangend, assoziierend, aufbegehrend, aufbrechend, bekämpfend, beschleunigend, betrachtend, bewertend, collagierend, denkend, denkend, denkend, entdeckend, erkundend, erweiternd, de-/fragmentierend, fiktionalisierend, fortschreitend, fühlend, gehend, gehend, gehend, hinterfragend, historisierend, hoffend, hörend, inventarisierend, ironisierend, imaginierend, irrend, jonglierend, karikierend, kombinierend, kontrollierend, konzentrierend, kritisierend, lamentierend, lauschend, lesend, lesend, lesend, monierend, montierend, notierend, nuancierend, öffnend, opponierend, parodisierend, (anti-)poetisierend, polarisierend, phantasierend, photographierend, polemisierend, präzisierend, provozierend, querulierend, reflektierend, rekonstruierend, rotierend, sammelnd, schäumend, schrei(b)end: Mir geht es beim Schreiben nicht um Literatur…, schreibend : Eine zersplitterte Perspektive ist das…, schreibend: Auf einmal ist nun alles still…, sehnend, suchend, trauernd, träumend, überschreitend, utopisierend, verletzend, verneinend, wahrnehmend, weitermachend, wütend, zerbrechend, zerschneidend, zersprengend, zitierend, zweifelnd.
Zur Person
Theo Breuer, geboren 1956, lebt in Sistig/Eifel; veröffentlicht seit 1988 eigene Lyrik sowie essayistische Monographien zur zeitgenössischen Poesie; hat allerlei ediert (für Edition YE, edition bauwagen, Pop Verlag), so u.a. die Lyrikzeitschrift Faltblatt (1994–2004), die Kunstschachtel YE (1993–2008) sowie Künstlerbücher wie Jan Röhnert: Fragment zum französischen Süden 1 & 2 (2002) und In ein anderes Blau. Autographen deutschsprachiger Dichter (2005); hat für die Literaturzeitschrift Matrix u.a. umfangreiche Sonderhefte zu Friederike Mayröcker (2/2012, Nr. 28), Hans Bender (4/2012, Nr. 29) und Axel Kutsch (2/2014, Nr. 36) herausgegeben; hängt seit Ende 2013 auf Petersburger Art zeitgenössische ›Gemäldegedichte‹ ins Rote Haus im Park – – – teil seiner ganzen lebensarbeit ist ja wohl auch, durch übersteigerte ordnung subversive unordnung und verwischung der grenzen zu schaffen (Crauss). Zuletzt erschienen seine Lyrikbände nicht weniger nicht mehr (Pop Verlag 2021) und Vorschlag zur Blüte (ebd. 2023).
Mehr Informationen
• Bio-Bibliographie auf literaturport.de
• Matthias Hagedorn: Aus dem Hinterland. Eine Würdigung des Lyrikers, Herausgebers und Verlegers Theo Breuer. BookRix-Edition 2010 (→ zum kostenlosen E-Book)
• Theo Breuers literarische und essayistische Auseinandersetzung mit Rolf Dieter Brinkmanns Werk ist äußerst vielfältig und von großer Kenntnis geprägt. Stellvertretend sei hier nur sein bislang umfangreichster Essay zum Thema genannt: “Flickenteppich · Blicke auf Brinkmann: Weiter und weiter machen in einer guten Gegenwart”. In: poetenladen.de (14. April 2015).
Anmerkungen