Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

Jürgen Ploog // Foto: privat
1. Wie sind Sie auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Brinkmann war bekannt. Wer in den 1960er Jahren auf literarische Erkundungsfahrt ging, konnte ihn nicht übersehen. Zunächst wohl als nicht ganz angepasster Lyriker. Schlagartig wurde mir allerdings mit Erscheinen von ACID (1969) klar, dass er im Mittelpunkt einer für mich völlig anderen Literaturauffassung stand, die vor allem in den USA ihren Ausgang nahm, aber nicht ohne europäische Wurzeln & Seitenstränge war (siehe Surrealismus, siehe Existenzialismus). Mit ACID hatte Brinkmann zusammen mit Rygulla eine gewaltige Bresche für eine ungezügelte Literatur geschlagen.
2. Welcher seiner Texte hat Ihnen am besten gefallen?
Sein Nachwort zu ACID hat mich stark beeindruckt, denn es zeigte, dass er kein abgeklärter Herausgeber war, sondern voll hinter dem wiedergegebenen Material stand & dessen Bedeutung genau einschätzen konnte. Er machte es mit seinen Ausführungen zum Programm, mit dem sich ein ungeahnter Schreibraum auftat. Die Übersetzungen taten das Ihrige, im Nachwort übertrug er eine bis dahin zumindest in Deutschland unbekannte Bewusstseinsebene in greifbare Reichweite. Er war wohl schon immer offen für die Wucht des Augenblicklichen gewesen, jetzt geriet das zu einer literarisch/poetischen Lebensauffassung, die keine Schranken gelten ließ. Im besten Sinn des Wortes revolutionär. Genau dieser Ansatz wird bleiben. Die sprachliche Verdichtung dessen, was die verwässerte Schablone Realität hergibt, dieses heute wieder beliebte Verharren in bemühten deskriptiven Selbstverständlichkeiten.

Fingierte Kommentare, u.a. von Rolf Dieter Brinkmann und Peter Handke, in der Literaturzeitschrift Gasolin 23 (Nr. 2), April 1973. ■ Anklicken zum Vergrößern
3. Was hätten Sie Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Nun, es wäre mir um einen Austausch von Gedanken & Vorstellungen gegangen & die Perspektive des Weitermachens. Welche prosaische Gestalt würde die Fülle des durch den Reißwolf von Cut-up gedrehten Materials annehmen? Würde sie sich durch den Schreibprozess quasi von selbst ergeben oder zeichneten sich Strukturen ab, die es zu verfolgen & zu festigen galt?
4. Ergänzen Sie bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
… ist genau den Weg gegangen, den neben mir auch Fauser & Weissner (jeder auf seine Weise) eingeschlagen haben. Er war dabei radikal & so rücksichtslos, wie es die damalige Umbruchsituation erforderte. Davor ziehe ich noch heute meinen Hut…
Zur Person
Jürgen Ploog (†), geboren 1935 in München, studierte Gebrauchsgrafik und war 33 Jahre Linienpilot der Lufthansa. 1973 gründete er zusammen mit Jörg Fauser und Carl Weissner die Underground-Literaturzeitschrift Gasolin 23. Nach seiner Pensionierung 1993 widmete sich Jürgen Ploog ausschließlich der Schriftstellerei. Besondere Bedeutung für sein Schreiben hatten Antoine de Saint-Exupéry und William S. Burroughs, mit dem er auch bis zu dessen Tod 1997 befreundet war. Insbesondere Ploogs Frühwerk steht ganz im Zeichen der von Brion Gysin „entdeckten“ und von Burroughs weiterentwickelten Cut-up-Technik, wovon auch Ploogs Essays in Strassen des Zufalls (1983) und Word is Virus. 100 Jahre WSB (2014) berichten.1Eine umfassende Darstellung zur Ästhetik und Geschichte des Verfahrens gibt Sigrid Fahrer in Cut-up. Eine literarische Medienguerilla. Königshausen … Continue reading Jürgen Ploog lebte zuletzt in Frankfurt/Main und Florida. Er starb am 19. Mai 2020 in Frankfurt/Main.
JÜRGEN PLOOG – TAPES von unterwegs 1971-1976 – LP #1
Mehr Informationen
- Website des Autors: www.ploog.com (mit posthum aktualisierter Werkbibliografie)
- J. Ploog: „Exibition des zufälligen Ichs: Brinkmanns Reisen durch stürzende Paradigmen“. In: Ders.: Facts of Fiction. Essays zur Gegenwartsliteratur. Paria Verlag 1991, S. 35-39. →
Download [1,74 MB]
- J. Ploog (hrsg. mit Pociao und Walter Hartmann): Amok Koma: ein Bericht zur Lage. Bonn, Hamburg: Expanded Media Editions 1980. → Inhaltsverzeichnis
- Alle Ausgaben von Gasolin 23 gibt es als kostenfreies Digitalisat (PDF) auf der Seite Gasolin Connection
- „»Ein Publikum habe ich nicht, bestenfalls Leser«. Jürgen Ploog im Gespräch mit Hadayatullah Hübsch“. In: satt.org (23. Mai 2011).
- »Die Literatur schottet sich ab« Jürgen Ploog im Gespräch mit Martina Weber für den poetenladen. In: poet. Nr. 21 (Herbst 2016).
- Florian Vetsch (Hg.): Ploog Tanker. Texte von & zu Jürgen Ploog. Mit Beiträgen von Udo Breger, William S. Burroughs, Katharina Franck, Allen Ginsberg, Miriam Spies, Regina Weinreich, Carl Weissner (u. a.). Rohstoff-Verlag 2004. Weitere Beiträge zur Würdigung erschienen 2019 im Schweizer Literaturmagazin fabrikzeitung.ch
Aktuelles zum Autor
Anlässlich des 90. Geburtstags (und 5. Todestags) erscheint im März 2025 das Buch Ploog, West End in der Frankfurter Edition W. Der von Ploogs Sohn Daniel und Wolfgang Rüger (→ zum Fragebogen) besorgte Sammelband lässt Literaturwissenschaftler, Freunde, Kollegen wie Weggefährten zu Wort kommen und gewährt exemplarische Einblicke in sein (unveröffentlichtes) Œuvre. Siehe hierzu ein Interview mit Wolfgang Rüger sowie dessen Essay „Über das Verschwinden“. Im Laufe des Jahres erscheint außerdem bei Moloko Print Spätvorstellung, das zuletzt fertiggestellte Buch des Frankfurter Autors.
● Veröffentlicht: 23. Mai 2020, aktualisiert: 11.04.2025
Anmerkungen