Die „Lange Nacht“ zu Rolf Dieter Brinkmann (DLF)

»Mit Zweifel an allem, und Wut auf fast alles«. Unter diesem Titel sendete der Deutschlandfunk (DLF) am 19. April 2025 eine fast dreistündige Radiosendung im beliebten Format der „Langen Nacht“. Den konkreten Anlass hierzu bot der 50. Todestag von Rolf Dieter Brinkmann am 23. April sowie zwei Neuerscheinungen im Rowohlt Verlag. Hier weitere Infos und die Sendung zum Nachhören.

Henning John von Freyend: „Das Hemd von Rolf Dieter Brinkmann“ (Öl auf Leinwand, 1969).1Das Werk ist seit 2022 Teil einer Dauerausstellung zu Rolf Dieter Brinkmann in der UB Vechta.

Diese Lange Nacht besteht aus zwei Teilen: zuerst ein umfangreiches, fast zweistündiges FEATURE der Kölner Literaturkritikerin und Autorin Gisa Funck. Darin geht es vordergründig um die im Februar 2025 erschienene Biografie Ich gehe in ein anderes Blau (Rowohlt 2025) von Michael Töteberg und Alexandra Vasa. Es ist die erste umfassende Darstellung zur Vita Brinkmanns, die zudem bislang unbekanntes Material und Briefe des Autors aus dessen Nachlass auswerten kann.

Gisa Funck sprach mit den beiden Autoren, befragte für ihr Feature aber auch weitere Personen wie die engen Weggefährten Linda Pfeiffer und Ralf-Rainer Rygulla2Siehe in diesem Zusammenhang auch die Neuerscheinung Rolf Dieter Brinkmann/Ralf-Rainer Rygulla: Frank Xerox’ wüster Traum und andere … Continue reading sowie den Literaturwissenschaftler Markus Fauser. Doch die Kölner Kulturjournalistin und Autorin erzählt nicht einfach die Biografie nach, sondern geht ausführlich auch auf Brinkmanns Schreiben im Kontext der Literatur seiner Zeit und dessen heutige Aktualität ein. Das Ergebnis ist eine differenzierte, auch mit Kritik (z.B. an Brinkmanns oft verächtlichem Blick auf Frauen) nicht sparende, vielschichtige Darstellung. Zusätzlich angereichert wird das hervorragend recherchierte, atmosphärische dichte Feature mit Passagen aus Brinkmanns Texten, Musik seiner Zeit sowie O-Tönen des Autors, z.B. aus dessen Hörstück Die Wörter sind böse (WDR 1974).

Rolf Dieter Brinkmann ist eng mit Köln und der Kölner Literaturszene verbunden. Die verbleibende knappe dritte Stunde (ab 01:45:00) bringt deshalb Ausschnitte einer ihm gewidmeten ABENDVERANSTALTUNG (9. April 2025) im ausverkauften Literaturhaus der Stadt.3Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der »Langen Nacht« des Deutschlandfunk und mit Unterstützung der Stadt Köln, des LiK-Archivs der … Continue reading An der von Gisa Funck mode­rier­ten Gesprächs­runde nahmen neben Alexan­dra Vasa auch (ab 02:10:00) Linda Pfeiffer und ich selbst, Roberto Di Bella, teil. Hierbei ging es ins­beson­dere um Brink­manns Gedicht­band West­wärts 1&2 (Rowohlt 1975). Das letzte zu Lebzeiten vollendete Buch des Autors, zugleich einer der herausragenden deutschsprachigen Lyrikbände seit 1945, wurde dieses Jahr von Michael Töteberg in erweiterter Form neu aufgelegt.


PRESSETEXT DLF
Als „Kultautor“ verehrt, aber auch von vielen gefürchtet: Auch fünfzig Jahre nach seinem frühen Tod durch einen Autounfall in London am 23. April 1975 gibt der Provokateur, Pop-Avantgardist und Literatur-Rüpel Rolf Dieter Brinkmann immer noch Rätsel auf – und ist sein genre-sprengendes Werk nicht leicht einzuordnen. Erst jetzt, nachdem der Nachlass lange unter Verschluss war, ist eine erste Biografie erschienen.

1940 in Vechta geboren, schrieb und dichtete Brinkmann zunächst generationstypisch gegen den Muff der Adenauerzeit an – und wurde 1969 mit der (zusammen mit Ralf-Rainer Rygulla) herausgegebenen Anthologie ACID berühmt: eine Sammlung frech-obszöner Underground-Texte aus den USA und Großbritannien, die heute als Gründungsdokument der deutschen Popliteratur gilt. Schon darin formulierte Brinkmann sein (von den US-Underground-Poeten abgelauschtes) Literaturcredo, das lautete: mehr Sinnlichkeit, mehr Alltagswelt und mehr Erzählpräsenz im Hier und Jetzt.

»Wenn ich allein spreche, fällt mir meistens nichts ein.
Sind andere Leute dabei, lasse ich mich gerne anregen.»4Zitiert nach Rolf Dieter Brinkmann: Die Wörter sind böse. Kölner Autorenalltag 1973 – eine subjektive Dokumentation. Regie: Hein Bruehl. Die … Continue reading


Im Glauben an die tabubrechende Kraft der Provokation, verwandelte sich Brinkmann danach jedoch vom Pop-Kulturstar immer mehr in einen rabiaten Alles-Beschimpfer, der in seinen cholerischen Ausfällen nicht nur über den „Kontrollstaat“, die Amerikanisierung, den (aus seiner Sicht korrupten) Literaturbetrieb, ältere Autoren wie Heinrich Böll oder Günter Grass gnadenlos herzog, sondern auch über die linke Studentenbewegung und gleichaltrige Kollegen, Frauen oder Freunde wie Peter Chotjewitz oder Nicolas Born.

Am Ende stand der Sprach- und Weltskeptiker Rolf Dieter Brinkmann in seiner unmäßigen Wut auf alles und jeden dann ziemlich alleine da und fühlte sich einsam auf seiner Suche nach einer ganz neuen Form der radikal subjektiven Lebens-Mitschrift. Nichtsdestotrotz gilt er heute als einer der einflussreichen Autoren der Nachkriegszeit – und wirken vor allem seine späteren Collagebücher (etwa Rom, Blicke) und sein Versuch, die Alltagsrealität nicht nur schreibend, sondern auch per Foto- und Filmkamera möglichst unverfälscht einzufangen, auch nach fünfzig Jahren immer noch hochaktuell und faszinierend. (Quelle: DLF)
●sss

»Mit Zweifel an allem, und Wut auf fast alles«.
Eine „Lange Nacht“ über den Schriftsteller Rolf Dieter Brinkmann
Eine Sendung von Gisa Funck ● Dauer: 159:30 Min.
Zitate gesprochen von: Lisa Biehl, Joachim Eich, Martin Mross
Regie: Burkhard Reinartz ● Redaktion: Hans Dieter Heimendahl

Die Lange Nacht zu Rolf Dieter Brinkmann wurde zuerst am 19. April ab 00.05 Uhr auf Deutschlandfunk Kultur und am 19. April ab 23.05 Uhr im Deutschlandfunk gesendet. Hiernach wurde sie in die Mediatheken von ARD und DLF aufgenommen. Dort bleibt die Sendung für sechs Monaten ab Veröffentlichung verfügbar und kann zur privaten Verwendung auch heruntergeladen werden. Die „Lange Nacht“ gibt es auch auf Spotify.

Siehe auch Rolf Dieter Brinkmann. Popliterat, Provokateur und Kultautor“. Ein Radiogespräch von Miriam Zeh mit dem Brinkmann-Biografen Michael Töteberg, der Schriftstellerin Ursula Krechel und der Kulturjournalistin Gisa Funck (Deutschlandfunk Kultur, 20. April 2025). → zur Radiosendung

Anmerkungen[+]

Über Roberto Di Bella

Dr. Roberto Di Bella: Literaturwissenschaftler & Kulturvermittler
Speichere in deinen Favoriten diesen permalink.

Die Kommentare sind geschlossen.