Vier Fragen zu Rolf Dieter Brinkmann

Adrian Kasnitz // Foto: Roberto Di Bella
1. Wie bist Du auf Rolf Dieter Brinkmann aufmerksam geworden?
Anfang der 90er Jahre, als ich erste Texte geschrieben hatte und anfing, mich dafür zu interessieren, wo ich denn veröffentlichen könnte, stieß ich auf das Impressum, eine Zeitschrift, die damals Textaufrufe für Literaturzeitschriften und Ausschreibungen für literarische Wettbewerbe veröffentlichte. Das war zu einer Zeit, als das Internet noch nicht funktionierte. Im Impressum wurde aber auch viel über Literatur, über alternative, randständige Literatur gesprochen. Literatur, die niemand aus meinem Umfeld (und das hat sich lange Jahre so gehalten) kannte. Der Name Brinkmann tauchte dort häufig auf. Ich wurde neugierig und lieh mir daraufhin in der örtlichen Stadtbücherei den Gedichtband Eiswasser an der Guadelupe Str. aus. Das war der Beginn einer literarischen Freundschaft, natürlich einer sehr einseitigen. Ich bin dann später zum Studium nach Köln gezogen und traf hier immer wieder auf Spuren. Jetzt wohne ich zufällig fast an der gleichen Straßenecke, wo Brinkmann früher gewohnt hat.
2. Welcher seiner Texte hat Dir am besten gefallen?
Mir gefällt der Tonfall in seinen Texten. Die Sehnsucht nach dem Glück, die sich im Dreck der Stadt spiegelt. Der Text „Vorbemerkung“ aus dem Band Westwärts 1 & 2 ist eine Offenbarung. „Einer jener klassischen / schwarzen Tangos in Köln“ ist ein großartiger Gedichtanfang. Brinkmanns Texte inspirieren Künstler: das kann ich gut verstehen. Allerdings droht auch immer die Gefahr, diesem typischen Ton zu verfallen.
3. Was hättest Du Brinkmann gerne noch persönlich gesagt?
Brinkmann wäre jetzt ein alter Herr. Älter sogar als mein Vater. Die Kommunikation mit älteren Herren ist ja nicht immer einfach. Ich hätte ihn trotzdem gerne gefragt, was er als nächstes schreiben würde. Es wäre sehr spannend zu wissen, was er noch geschrieben hätte. Ob er die deutschsprachige Literatur noch tiefer verändert hätte, als er das tat. In den bald 40 Jahren seit seinem Tod hätte er ja noch gut 15 Bücher schreiben können. Das kann man schon vermissen. Es ist ja immer so eine Diskrepanz zwischen der Bedeutung Brinkmanns für die Schriftsteller, besonders für die Dichter und seiner Bedeutung für die nichtschreibenden Leser. Zu seiner Zeit wurde er viel gelesen, stand in der Spiegel-Bestenliste. Aber heute ist er ja, überspitzt gesagt, ein ‚writer’s writer‘. Oder ist fast schon selber zu einem dieser Materialienbände geworden, an denen er gearbeitet hat.
4. Ergänze bitte folgenden Satz: Rolf Dieter Brinkmann…
Rolf Dieter Brinkmanns Texte sind immer noch der Finger in der trägen, selbstgenügsamen Wunde namens Köln.
Zur Person
Adrian Kasnitz, geboren 1974 in Orneta (Ermland), aufgewachsen in Queetz und Lüdenscheid, Studium der osteuropäischen Geschichte in Köln. Lyriker, Verleger, Herausgeber und Veranstalter. Lebt und arbeitet in Köln. Einzelne seiner Texte wurden verfilmt, vertont oder in über zehn Sprachen von A wie Arabisch bis U wie Ukrainisch übertragen. Er ist darüber hinaus Gastgeber der monatlichen Lesereihe Literaturklub Köln und Mitbegründer des elk – Europäisches Literaturfestival Köln-Kalk (seit 2019). Für seine literarische Arbeit erhielt Adrian Kasnitz u.a. das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln (2005) sowie das Dieter-Wellershoff-Stipendium der Stadt Köln (2020) mit dem Romanprojekt Der Schatten. Er veröffentlichte zuletzt die Gedichtbände Im Sommer hatte ich eine Umarmung (2023) und Kalendarium #9 (2024), beide in der parasitenpresse, seinem eigenen Verlag mit Schwerpunkt auf deutschsprachiger und internationaler Lyrik und Kurzprosa.
parasitenpresse
„Die Parasiten bekommen Flügel, achten jedoch sehr darauf, nicht abzuheben“, schrieb ich bereits 2002 in einem frühen Verlagsporträt (s.u.). Gegründet hat er den Verlag mit dem eingängigen Namen zwei Jahre zuvor, gemeinsam mit seiner Ehefrau Wassiliki Knithaki. Damals gedacht als Antwort auf kommerziellen Verlage, die jungen Autor*innen die Türen verschlossen, erschienen hier zunächst kleine, je 14-seitige Lyrikhefte ohne ISBN. Gedruckt wurden sie zu Beginn auf gebrauchte braune Umschläge. Solche nämlich, in die man hoffnungsvoll Manuskripte eintütet und die dann ungelesen wieder zurückkommen. Mittlerweile sind dort über 100 (broschierte) Einzeltitel erschienen, mit vornehmlich zeitgenössischer und internationaler Lyrik. Hierfür wurde der Verlag bereits zweimal mit dem Deutschen Verlagspreis ausgezeichnet (2021 und 2024).
Für die parasitenpresse edierte Adrian Kasnitz bereits zahlreiche Anthologien zeitgenössischer Lyrik, oftmals mit wechselnden Co-Herausgeber*innen. So erscheinen hier Zusammenstellungen aus vielen Literaturen Lateinamerikas und Europas, in den letzten Jahren verstärkt aus dem südost- und osteuropäischen Raum. Es sind Bücher und Texte, die sich einmischen, poetische Koordinaten neu vermessen. Und ein Verlag, der sich auf den Weg macht – für Autor*innen, Übersetzer*innen und alle die, die Bücher lieben. Oder wie es als Selbstdefinition auf der eigenen Seite heißt: Verlegen als künstlerische und soziale Praxis, nicht als Unternehmertum.
Mehr Informationen
Autorenseite von Herrn K.
parasitenpresse.de
- Roberto Di Bella: „Störgeräusche. Die Parasitenpresse sendet beharrlich. Porträt eines Kölner Lyrik-Verlages“. In: Stadtrevue (12/2002). →
Download [216 KB]
- Roberto Di Bella: „Parasitäre Störgeräusche. Vor 15 Jahren gründete Adrian Kasnitz den Lyrikverlag Parasitenpresse“. In: Stadtrevue (11/2015). → online lesen
- Gesine von Prittwitz: „’Ich sehe keine Schwierigkeiten. Der Verlag hat vieles erst möglich gemacht‘. Interview mit Adrian Kasnitz“. In: Steglitz Mind (26.02.2015). → zum Blogbeitrag
- Artur Becker: „Der Dichter als nützlicher Parasit“. In: Faust Kultur, 27. Dezember 2024 [Verlagsporträt aus Anlass der Verleihung des Deutschen Verlagspreises 2024] → online lesen
Literaturpalast Audiospur. Folge 35: Adrian Kasnitz
Ein Gespräch mit Adrian Kasnitz über den Verlag und seine Autor*innenparasitenpresse
Moderation: Tino Schlench | Länge: 64 Min. | alle Folgen auf Spotify
● Veröffentlicht: 31. Januar 2014, aktualisiert: 17.03.2025